Bei vorliegender Demenz gehen Erinnerungen verloren. Altes, Vertrautes ist plötzlich fremd. Menschen mit Demenz verlieren zunehmend die Orientierung im hier und jetzt. Erinnerungen und Wissen sind dennoch vorhanden, stellen sich nur wie ein Haufen durcheinander liegender Puzzleteile dar. Ein Ansatz neben verschiedenen ist, vorhandene Puzzle-Teile wieder zu einem Ganzen zu sortieren gilt. Woran erinnert der Mensch mit Demenz sich noch?
Je älter ich werde, desto mehr interessiert mich Geschichte. Ich nutze das Internet sehr intensiv. Bei meinen „Forschungen“ kam mir das Angebot der Borkener Zeitung sehr gelegen, ihr digitales Archiv zu nutzen. Hier besteht die Möglichkeit, nach Tagesdaten oder auch personenbezogen zu suchen. Private erste Tests brachten mir persönlich umfangreiche Ergebnisse. Meinen Familiennamen eingebend, wurden beispielsweise Verlobungs- bzw. Vermählungsanzeigen meiner Eltern, Tanten und Onkel angezeigt. Diese Ergebnisse berührten mich emotional sehr. Mir stellte sich die Frage: Kann ich dieses Medium auch in meiner Arbeit als Betreuungsassistent auch nutzen? Wie muss ich mich darauf vorbereiten? Versuchsweise gab ich Namen von Bewohnern ein und fand eine Fülle von Informationen. Für mich stand und steht fest, dass ich durch dieses digitale Angebot die Erinnerungsarbeit um eine Nuance erweitern kann. Ich habe die Möglichkeit, mich mit Bewohnern auf eine Zeitreise zu begeben.
Vor dem Beginn dieser „Reise“ muss, wie im „normalen Leben“, allerdings Einiges an Vorbereitungen getroffen werden:
- Dauer der Maßnahme: maximal 45 Minuten
- Auswahl der Bewohner (vorhandene Sehkraft ist Voraussetzung)
- Höchstens zwei Bewohner gleichzeitig
- Vorab Sichtung der Suchergebnisse, um negative emotionale Ergebnisse zu vermeiden
- Auf Wunsch monatliche Wiederholung mit Angebot, wenn Bew. wünscht, Angehörige in die Maßnahme miteinzubeziehen
Durchführung in einem geschützten Raum (Bewohnerzimmer mit Internetzugang; bei Sehschwäche in einem Raum mit Möglichkeit, einen Beamer einzusetzen)
In den Fällen, in denen keine Informationen zu BewohnerInnen vorhanden sind, ist es doch interessant zu sehen, wie sich die politische, wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Lage zu dem abgefragten Zeitraum darstellte, welche Moden vorherrschten. Höchstinteressant war auch dabei zu betrachten, wie damals die Werbung in der Zeitung aussah, was die Zeitung für ein Layout hatte. Der Betroffene erkennt sich in diesen Artikeln, in Bildern aus seiner Lebenswelt. Ein Moment seines Lebens wird durch diese Zeitreise wieder lebendig und nachspürbar. Die Zeitreise ist somit eine Form der Validation.
Jochen Teroerde